Leseprobe aus dem Autorenkreis

Brigitta Feuchter

Nur ein kleiner Teddybär

Immer wieder sehe ich das kleine Mädchen, was vor über 60 Jahren, kurz nach dem Krieg, in der Wohnung der freundlichen Familie steht, die sie und ihre Mutti nach der Vertreibung aus Schlesien, bei sich in dem kleinen Ort Bevern, in Niedersachsen, aufgenommen hatte.

Das 3 jährige Mädchen hatte eben mit ihrer Mutti eine wochenlange Odyssee einigermaßen überstanden. Endlos scheinende Märsche, tagelange Fahrten in überfüllten Güterzügen, Warten und Hoffen auf Bahnhöfen, dass der ersehnte Zug sie endlich mitnahm und die wochenlange Quarantäne in einer überfüllten Turnhalle einer Schule, die niemand verlassen durfte bis der Typhus besiegt war, waren zu einem Alptraum angewachsen, nur ihr Gepäck war von Station zu Station immer weniger geworden.

Zum Teil musste einiges auf den Bahnhöfen zurück bleiben, denn immer hieß es, „ihr könnt noch mit, aber nicht das Gepäck“, oder es wurde gestohlen. Es war so oder so verloren und dabei hatte das kleine Mädchen irgendwo ihr einziges Spielzeug, ihre kleine Puppe, eingebüßt.

Und dann steht sie bei den fremden Menschen in Bevern im Wohnzimmer und ist gefesselt von dem Anblick eines kleinen Teddybären, welcher dort, sicher auch schon längere Zeit, auf dem Radio thront. Sie hört die Frau fragen: „Der gefällt dir wohl?“ und sie kann nur kräftig nicken.

Dann stürmt sie aus dem Zimmer und zeigt überglücklich ihrer Mutti das kostbare Geschenk.

Das kleine Mädchen war ich und dieser kleine Teddy begleitete mich nach Dresden.

Natürlich habe ich mit ihm gespielt, aber nicht so, wie mit dem anderen wenigen Spielzeug, das ich danach bekam. Hatte ich Besuch, versteckte ich ihn in meinem Bett. Ich nahm ihn nie mit aus dem Haus, die Angst war zu groß, dass ich ihn wieder einbüßen könnte. Er passte so schön in meine Kinderhand, so dass er beim Zubettgehen immer griffbereit lag und ich ihn beim Einschlafen in der Hand hielt. Sämtliche Tränen hat er getrocknet und meine Freudensprünge miterlebt und wenn er nicht mit dabei war, habe ich es ihm am Abend erzählt.

Ich wurde 12,16,18 Jahre und der kleine Teddy blieb mein Freund. Er wusste alles, was mich bewegte. Sein Platz war ständig unter meinem Kopfkissen und dort fand ihn auch einmal mein Freund, mein späterer Mann.

Er neckte mich mit ihm, was mich zwar beschämte, aber mir auch wehtat, denn niemand sollte ihn in seiner Hand halten, er gehörte nur mir allein.

Dann wurde ich 23 Jahre, war inzwischen verheiratet und erwartete mein erstes Kind. Da wir erst zum Ende meiner Schwangerschaft eine Wohnung bekamen, trat der Fall ein, dass ich Hals über Kopf zur Entbindung in die Klinik musste und mein Mann mit meinen Eltern allein den Umzug gestaltete.

Ich weiß noch, dass ich als das Taxi kam, noch einmal unter das Kopfkissen griff und den Teddy drückte, dann ging ich das letzte Mal aus meinem Zimmer.

Als ich mit meinem kleinen Sohn aus der Klinik in unsere neue Wohnung kam, war mir natürlich alles fremd und ich hatte andere Aufgaben, als mich um kleine Teddys zu kümmern. Doch das eine oder andere Mal suchte ich schon nach ihm, wenn ich in den Schränken meine Sachen umsortierte. Meine Mutter, die natürlich den Teddy kannte, meinte, er müsste da sein, irgendwo würde ich ihn schon noch finden. Auch mein Mann gab ausweichende Antworten, wenn ich ihn, so nebenbei, mal fragte. Eines Tages wurde er konkret, seine Antwort berührt mich heute noch: „Jetzt reicht es mir, du hast jetzt ein Kind und brauchst keine Teddys mehr, den habe ich weggeschmissen!“

Diese Aussage hatte mich sehr getroffen. Es war zwar nur ein kleiner abgegriffener Teddybär, aber er gehörte doch zu mir, nach den vielen Jahren. Ich fand die Entscheidung meines Mannes damals richtig brutal und habe schon ein Weilchen gebraucht, die Trauer über den Verlust des Teddys zu verdrängen.

Wenn ich später an ihn dachte, sah ich in Gedanken immer das kleine dreijährige Mädchen, für die er in dieser Nachkriegszeit das größte Geschenk der Welt war.

Viele Jahre später, unsere Söhne studierten schon, betraten wir während einer Reise ein Hotelzimmer.

Mich überraschte schon sehr der laufende Fernseher, welcher uns auch noch begrüßte mit: „Herzlich willkommen in unserem Hotel, Herr und Frau Feuchter.“

Doch noch viel mehr und dazu auf seltsame Weise überraschte mich ein kleiner, etwa 15 cm großer Teddybär, welcher ausgerechnet auf meinem Kopfkissen saß. Zweifel, welches Bett ich belegen würde, gab es gar nicht. Mein Mann hatte dafür die üblichen Betthüpfer in Bonbonform.

Der kleine Teddy guckte mich so treuherzig an, dass alte Gefühle wach wurden und ich ihn gern adoptiert hätte, wenn nicht meine anerzogene Erwachsenenvernunft sofort an mein Alter appelliert hätte. Also ließ ich ihn im Hotel zurück.

Doch heute sitzt er in meinem Bibliothekszimmer zwischen den Büchern in der obersten Reihe, fern von den Blicken meiner Enkel, und hält immer noch die Erinnerung an seinen schon seit vier Jahrzehnten verschollenen Vorgänger, wach und das  nicht nur bei mir.

Mein Mann hatte ihn nämlich heimlich mitgenommen und ihn mir daheim auf das Kopfkissen gesetzt. Als ich ihn entdeckte, meinte er sichtlich gerührt: „Diese dumme Sache von damals, tut mir heute noch leid!“

Ich ahnte nie, dass er meine damalige Trauer bemerkt hatte, wusste aber natürlich sofort, was er meinte und sagte ihm scheinbar gelassen und auch, weil diese seine plötzliche Regung mich unvorbereitet traf: „Ach lass nur, es war doch nur ein kleiner Teddybär.“

1945  -  1967  -  1992  (geschrieben 2007)

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