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Traute Herfurth
Das verschenkte Lächeln
Es hatte lange gedauert, ehe sie beschloß, allein zu verreisen. Zu sehr fürchtete sie, irgendwann am Abend einsam zu sein. Allein war sie auch zu Hause, aber allein und einsam ist nicht dasselbe.
Froh darüber, diese Ängste überwunden zu haben, suchte sie sich aber auch für diesen Sommer eine Reiseroute aus, die wenig Freizeit übrigließ. Es sollte ja auch keine Erholungsreise werden. Sie wollte mehr von der Welt sehen, Länder und Menschen kennenlernen. Und eigentlich wunderte sie sich schon selbst darüber, wie viele Wünsche sie sich bereits erfüllt hatte, obwohl sie keineswegs begütert war. Diesmal sollte es Norwegen sein.
Der Koffer war gepackt. Sie verwendete stets viel Zeit für die Vorbereitung einer Reise. Das Geld sollte nicht zu knapp bemessen sein, die Kleidung zweckmäßig, aber auch ein wenig elegant. Vor allem aber informierte sie sich vorher gründlich über Land und Leute, las den Reiseführer vor und zurück, übertrug die Reiseroute auf die Landkarte und steigerte mit jeder dieser Bemühungen ihre Vorfreude.
Kam dann der Tag der Abreise, fiel ihr die Trennung von der vertrauten Umgebung trotzdem schwer. Sie schimpfte sich ein unheilbar neugieriges Etwas und stöhnte wegen der vielen Arbeit, die solche Vorbereitungen stets mit sich bringen. Dann aber, sobald das Taxi vor der Tür stand, ließ sie alle Bedenken hinter sich. Alle Sinne fieberten nun dem Neuen entgegen.
Ihre Erwartungen an die Reisegruppe waren gering. Von der Reiseleitung erhoffte sie sich Kompetenz, von den Mitreisenden höflichen Umgang, sonst nichts. So, mit der ihr eigenen Zurückhaltung war es ihr möglich, Eindrücke ungestört aufzunehmen, sie voll und ganz auszukosten und sich im Stillen über diese und jene Kuriosität zu amüsieren. Wenn sie wollte, konnte sie sich mitteilen, mußte aber nicht. Diese Art zu reisen, empfand sie schließlich als ein Stück Freiheit und als sehr reizvoll.
Diesmal war für jeden Abend ein anderes Hotel gebucht. Aber sie mochte es, in einem Hotel abzusteigen, immer aufs Neue die Atmosphäre zu erspüren, den Service zu genießen und auf Menschen anderer Nationalität zu treffen.
An einem dieser Abende gab es aber ein Problem. Ihre Zimmertür ließ sich nicht öffnen. Nochmals probiert nein, sie ruckte und zuckte sich nicht. „Erst Gebrauchsanweisung lesen, dann handeln! Ihr ist, als hörte sie die Stimme ihres Sohnes. Ja doch! Also: Karte einstecken, es muß klicken, dann läßt sich die Tür öffnen. Soweit die Theorie. Die Praxis aber war, es bewegte sich nichts.
Sie steht im 7. Stock. Trotz Lift ist sie froh, ihr Gepäck vor der Zimmertür zu haben. Was nun? Ein etwas jüngerer Mann bietet ihr Hilfe an. Auch er probiert die Keycard aus. Nichts zu machen.
Vor bereits geöffnetem Raum, nur ein paar Meter weiter, steht ein Ehepaar aus ihrer Reisegruppe. Sie bittet, die Rezeption von ihrem Mißgeschick zu unterrichten. Die beiden schauen sie an, als hätte sie Unmögliches verlangt. Schließlich sagt der Mann: „Ja, wie denn? Ja sicher, wer beherrscht schon die norwegische Sprache? Aber Englisch. „Darf ich Ihr Telefon benutzen? Ist auch das zuviel verlangt? Aber schon wendet sich ihr der Mann von gegenüber zu, er will für sie telefonieren. Vergebens, die Dame an der Rezeption ist allein, kann ihren Posten nicht verlassen, sie soll selbst herunterkommen. Na, wie das? Entnervt schaut sie auf ihr Gepäck. Aber da ist er immer noch, der Mann von gegenüber, lächelt und meint, er werde sich um ihr Problem kümmern.
Nach einer Weile ist er wieder da, eine neue Keycard in der Hand. Ein weiterer Versuch vergebens, es muß am Schloß liegen, wahrscheinlich ist es nicht geladen. Er spricht fließend Englisch. Erst jetzt bemerkt sie, er ist ein gut aussehender Mann. Nicht sehr groß, volles Haar, gesunde Hautfarbe, leicht gebräunt. Bei der Freundlichkeit, die seine Augen ausstrahlen, wird die Farbe unbedeutend. Sie kann sich nicht erinnern.
Nun bleibt ihr nur noch, ihm zu danken. Sie muß hinunter, sich um ein anderes Zimmer kümmern. Aber noch mag sie nicht so einfach weggehen. Sie fragt ihn, ob er Engländer sei. Nein, er ist Brasilianer. Also einer jener ritterlichen Männer Südamerikas, wie man sie aus der Literatur kennt, denkt sie und muß sofort selbst über dieses Klischee lächeln. Erstaunt ist sie aber doch. Sie erzählt ihm, daß sie aus Deutschland kommt und mit einer Reisegruppe unterwegs ist. Er möchte wissen, wie lange sie in diesem Hotel bleibt. Nur eine Nacht. Sie könnte noch lange mit ihm reden, aber sie braucht ein Zimmer. So dankt sie ihm nochmals und geht zum Lift. Als sie am Endes des langen Ganges links einschwenkt, steht er immer noch da, schaut ihr hinterher.
Alles andere ist dann einfach. Die Dame an der Rezeption entschuldigt sich, weist ihr ein anderes Zimmer zu im 2. Stock. Nun bleibt ihr nur wenig Zeit, sich einzurichten, zu duschen und sich für das Abendessen umzuziehen.
Erst als sie sich anschickt, das Zimmer zu verlassen, hat sie das Empfinden, etwas zu vermissen. Und erstaunt stellt sie fest: Es ist das Lächeln jenes brasilianischen Señors, seine Hilfe, seine Art, ihr zuzuhören. Sie vermißt sein Lächeln. Sie hätte es festhalten sollen für diesen einen Abend, für ein Gespräch, für ein Glas Wein. Schade!
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