Leseprobe aus dem Autorenkreis

Gisela Novy

Memoiren schreiben am Laptop

Einen Computer wollte ich nie. Ich schrieb gern auf meiner elektrischen Schreibmaschine. Aber so ein umfangreiches Schriftwerk wie meine Lebenserinnerungen muss man am Computer schreiben, rieten mir meine Kinder und Enkel. Sie wollten mir auch helfen und zur Stelle sein, wenn ich Probleme hätte. Na fein, da würde ich sie wohl öfter mal bei mir zu Besuch haben! Also kaufte ich einen Laptop und einen Drucker dazu, übte fleißig und strapazierte die Nerven meiner Lieben. Nun kann ich es: schreiben, korrigieren, Einstellen von Schriftgrößen, scannen usw. und auch drucken. Es darf nur nichts Außergewöhnliches passieren, wie z.B. gestern.
Wenn ich weiterschreiben will, stelle ich zuerst den Laptop an. Der blaue Kreis leuchtet auf und nun kann sich der Laptop warmlaufen. Diese Zeit nutzte ich gestern, um die Briefe bereit zu legen, die Heinz und ich uns geschrieben hatten. Ganze Päckchen Briefe aus den Jahren, in denen wir in unserer jungen Ehe getrennt leben mussten. Ich sortierte, las, legte, was ich daraus verwenden wollte beiseite und vergaß dabei die Zeit, d.h. ich lebte jetzt in einer anderen Zeit, in den Jahren 1952/53.
Mein Laptop leuchtete sinnlos vor sich hin. Ich war noch nicht bereit, zu schreiben, also könnte ich ihn wieder ausschalten. Bisher musste ich immer über den Umweg "Datei — beenden" usw. ausschalten. Diesmal hatte ich aber gar nichts geschrieben. Könnte ich da nicht den Einschaltknopf auch zum Ausschalten benutzen? Gedacht -getan - der leuchtende Kreis begann zu vibrieren, aber sonst passierte nichts! Au weia, was nun? Ob ich den Stecker herausziehen kann? Nein, das traue ich mir nicht, wer weiß, was da passiert! Ich muss jemanden fragen! Jetzt, Donnerstag 10 Uhr? Da sind doch die Kinder und Enkel, die darüber Bescheid wissen, auf Arbeit!
Je länger ich überlege, umso mulmiger wird mir zumute. Das Gefühl kenne ich. Es ist die Angst, dass alles, was mein Laptop bisher gespeichert hat, verloren gehen könnte. Einmal bin ich fast in Panik geraten. Ich hatte schon ca. eine Stunde geschrieben und wurde durch Klingeln an der Tür und längeres Gespräch mit einem Handwerker vom Laptop weggerufen. Als ich zurückkam, um weiter zu schreiben, war der Text auf dem Laptop verschwunden. Dafür tanzten verschiedene Farben und Muster über den Bildschirm. Es sah aus wie ein Vorhang, den der Wind hin und her wedelt. Entgeistert sah ich mir dieses Farbenspiel an. Nur ein Wort fiel mir dazu ein: "Hilfe!" Söhne, Töchter, Schwiegerkinder - niemand telefonisch zu erreichen! Jetzt, die Enkeltochter, endlich! "Omi, nur die Taste mit der Aufschrift "Enter" drücken, dann verschwindet der Bildschirmschoner und dein Text ist wieder da". Sie hatte recht und ich staunte über die Fähigkeit meines Laptops, seinen Bildschirm selbständig mit einem Schoner zu schützen.
So ein Laptop ist eben auch nur ein - nein, ein Mensch ist er nicht und doch ist er sehr empfindsam. Tippt man nur ganz leicht versehentlich auf eine Taste, gleich reagiert er und es passiert etwas, was man gar nicht wollte. Z.B. benutze ich gern die Symboltaste "K", wenn ich mit der Schrägschrift einen bestimmten Text besonders hervorheben will. Ganz oben befindet sie sich in einer Reihe verschiedener Symbole. Für einen Ausschnitt eines Briefes, den ich in den Text einfügen wollte, benötigte ich wieder einmal diese Kursivtaste. Ich leitete mit der Maus den Pfeil nach oben zur Symbolleiste, um das "K" anzuklicken. (Entschuldigung, hier muss ich mal betonen, was für eine sinnbildliche Ausdrucksweise wir am Computer benutzen. Ist das nicht einzigartig: "Mit der Maus anklicken"? Wer noch nicht am Computer geschrieben hat, ist nun bestimmt neugierig geworden). - Jedenfalls wollte ich "K" anklicken, doch die ganze Symbolleiste war verschwunden. Mein Laptop hatte sie einfach verschluckt! In diesem schweren Fall konnte nur meine Schwiegertochter helfen, weil EDV-Betreuung ihr Beruf ist. Erstaunlicherweise war sie gleich am Apparat, als ich sie anrief. Sie erkannte sofort, dass ich versehentlich eine der untersten Tasten berührt hatte. Nun begann ein kompliziertes Suchverfahren, diesen Fehler wieder rückgängig zu machen. Ganz schwierig, das am Telefon zu bewältigen. Noch schwerer für mich, es jetzt auch nur entfernt wiedergeben zu können. Aber wir schafften es. Mein "K" strahlte mich von der obersten Reihe meines Laptops an und war wieder einsatzbereit.
Ja, das sind u.a. so meine Erlebnisse beim Schreiben. Aber was ist nun mit dem runden, leuchtenden Kreis, der nervös zittert und dem ich nicht helfen kann? Da fällt mir ein, eine Nachbarin besitzt auch einen Computer. Ob sie das weiß? Ja, sie kommt, drückt auf den erregten Knopf und der Laptop geht aus. Ich sehe sie erstaunt an. Wieso ist er bei mir nicht ausgegangen? Da habe ich wohl zu kurz gedrückt. Beim Ausschalten muss man den Knopf länger gedrückt halten. Das ist der ganze Trick!
Kopfschüttelnd betrachtete ich meinen Laptop und es kam mir so vor, als hätte er gerade hämisch gekichert.

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